Der Fußpfleger des Papstes

… um genau zu sein der Fußpfleger zweier Päpste, aber das klingt nicht so schmissig.
Der Meister der Pediküre saß letzten Monat mit mir im Taxi. Natürlich nicht leibhaftig, sondern in Form einer Geschichte meiner Meraner Freundin Milva. Sie kennt besagten Fußpfleger, der regelmäßig nach Roma eingeflogen wird, wenn es die päpstlichen Hühneraugen dringend erforderlich machen. Unser Taxifahrer, gebürtig aus Mazedonien, trumpfte respektlos auf. Erst letzte Woche hätte der österreichische Kanzler genau dort gesessen, wo sich gerade mein Hund Mimi herumfläzte. Mimi schaute mich unbeeindruckt an. Solange der Kanzler hier keine Leckerchen verloren hat, interessierte sie die ganze Geschichte in keinster Weise. Ich überlegte fieberhaft, ob bei mir je ein Prominenter herumgesessen oder zumindest die Hornhaut entfernt bekommen hat. Nein, alles Normalos, die sich die Fußnägel selber schneiden und, wenn weiblich, mit unterschiedlichem Erfolg, auch lackieren.
Warum erzähle ich diese Begebenheit? Weil es eine Geschichte über Freundschaft ist. Wahre Freundschaft. Ein seltenes Tierchen, das sich nur noch ab und an hervortraut und keinen Likes, sondern inneren Werten den Vorzug gibt
Juni in Meran. Meine Freundin Milva verkündet, dass wir eine Fahrt ins Blaue unternehmen. Passend, da sie einen alten, hellblauen Renault fährt. Wir befinden uns auf der Autostrada zwischen Merano und Bolzano, als es hinten links scheppert, schleift und klackert. Ein ungutes Geräusch. Eigentlich wissen wir schon zu diesem Zeitpunkt, dass etwas Elementares nicht stimmt. Wir schaffen es ruckelnd bis zur nächsten Tankstelle und bestaunen die Bescherung. Der linke Hinterreifen ist platt. Platt wie ein Schlutzkrapfen ohne Füllung.
Normalerweise wäre hier die Geschichte zu Ende. Aber nicht mit einer Freundin wie Milva. Da fängt die Chose erst richtig an. Mimi und ich dürfen die Tankstelle nicht betreten: Hundeverbot. Macht natürlich voll Sinn. Menschen mit kampfstoffkonterminierten Sohlen gehen ein und aus, aber eine Minibulldogge muss draußen bleiben.
Durch die verschmutzte Scheibe bietet sich mir ein wunderbares Bild: Milva mit Monokel, die emsig in einem meterdicken Telefonbuch blättert und dabei auf den hundefeindlichen Tankwart einredet. Ein Monokel! Die korrekte Schreibweise musste ich googeln. Ich verliebe mich aufs Neue in diese Frau. Und dann noch ein Telefonbuch aus Papier, bedruckt und zum Blättern in echt. All das gibt es noch in unserer Welt. Wir müssen nur die Augen aufmachen oder eine Freundin namens Milva haben.
Eine halbe Stunde später tritt Milva ins gleisende Sonnenlicht. Mimi und ich machen uns auf die Rückfahrt ins Hotel gefasst. Aber meine Meraner Freundin frohlockt: „So, der Fahrer kimmt. Und die Werkstatt schaut später nach la macchina.“ „Wie, der Fahrer kimmt?“, frage ich etwas verwirrt. „Na, ich hab uns doch einen Tisch da droben reserviert. Da können wir nicht einfach so absagen. Wie sieht das denn aus!“ Milva zieht entrüstet ihre linke Augenbraue hoch. Just in diesem Moment fährt eine chromblitzende, cremefarbene Mercedeslimousine vor. Auftritt: Zoran, der mazedonische Taxifahrer, der auch K.u.K. Kanzler fährt, die keine Reifenpannen und Minibulldoggen haben.
„Ja, aber wohin geht es denn, Milva? Das ist doch alles viel zu teuer! Ich will mich daran beteiligen, basta! Milva, sollen wir nicht doch besser nach Meran zurückfahren?“ Ich klinge leicht schrill und unentspannt. „Na, na, na … auf geht’s …“ Mit diesen aufmunternden Worten nimmt Milva neben dem Chauffeur Platz. Ich setze mich mit Mimi auf die butterweiche Rückbank. Zoran schaut missbilligend in die gefüllte Hundetasche. Ich stammele etwas von allergiegetesteter Hund sowie null Haarausfall und halte dann besser den Mund. Die Fahrt geht weiter, Richtung ins Blaue, wo immer das liegen mag.
Milva plaudert mit Zoran, Milva plaudert mit mir, Milva übersetzt für mich, Milva übersetzt für Zoran, Milva übersetzt für Mimi. „Aber davon erzählst du nix im Hotel. Sonst heißt’s, die Madame Fürstenberg fahrt‘s nur noch mit dem Chauffeur umeinand.“ Ich schwöre es hoch und heilig. Von keine Geschichte draus basteln, hat sie nichts gesagt. Uff …
Bei Neumarkt, 50 km vom Pannenort entfernt, verlassen wir die Autostrada. Es geht Richtung Montan. Der Wagen schraubt sich in endlosen Serpentinen immer weiter den Berg hoch – und mein Magen gleich mit. Milva kommentiert derweil mehrsprachig die Blumen am Wegesrand, den Kalterer See zu unseren Füßen, die Bäume an den Hängen, die Balkone und Hofeinfahrten entlang der Dorfstraße, den Himmel nebst Wolken und das saftige Gras sowieso. Mir ist nur eines: schlecht. Ich werde schon seekrank, wenn ich am Ufer eines Sees auf die Wellen schaue. Auch konnte ich schon als Kind bei der sonntäglichen Autofahrt nicht hinten sitzen. Ein Umstand, den meine Familie gekonnt zu ignorieren wusste und von einem Zigarre rauchenden Vater gekrönt wurde. Ich sage nur Kindheitstrauma.
Milva dreht sich besorgt um: „Geht’s dir … Himmel … du bist ja ganz grün im Gesicht! Sollen wir anhalten?“ Ich verneine tapfer. Irgendwann müssen wir doch endlich im Blauen ankommen. Ich schaffe das. Ich habe auch den stinkenden Qualm meines Vaters überlebt. Wäre doch gelacht. Zoran, Milva und Mimi schauen mich skeptisch an. Zoran betätigt sicherheitshalber den Fensterheber für alle Scheiben. Und dann sind wir da: Mitten im strahlendsten Blau, ein winziges Fleckchen Paradies names Gschnon. Eine Einsiedelei, ein Bauernhof und ein Gasthaus und darüber der endlose Himmel und eine grandiose Aussicht. Und genau hier hat Milva den schönsten Platz auf der Terrasse für uns reserviert und die Chefin hat diesen, trotz großer Nachfrage, nicht rausgerückt. Denn sie wusste, wenn Milva reserviert, dann kommt sie auch – selbst mit einer Stunde Verspätung.
Wir sitzen, wir essen, wir trinken, wir erzählen, wir staunen. In der Ferne sehen wir, wie sich im Meraner Becker ein heftiges Unwetter zusammenbraut. Wir hingegen sitzen auf unserem Logenplatz hoch über dem See in der Sonne. Auch Zoran genießt seinen Arbeitstag. Er wird ebenfalls bewirtet, genehmigt sich ein Gläschen Rotwein, wir sind ja schließlich in Italien, und döst in der Sonne.
Als Zoran uns satt, zufrieden und wohlbehalten in Meran absetzt – ich dieses Mal nebst Mimi auf dem Beifahrersitz – bedankt er sich für einen der schönsten Arbeitstage überhaupt. Wenn er sich etwas wünschen dürfte, dann mehr solcher Aufträge, mehr solcher Menschen … und auch mehr solcher Hunde. Ich kann mich ihm da nur anschließen.
Ich komme aus einer Familie, in der sich jeder hauptsächlich um sich selbst kümmert. Ich bin es nicht gewohnt, dass man etwas für mich plant, Umstände macht oder Rücksicht nimmt. Wenn mir diese Aufmerksamkeit zuteil wird, werde ich ganz andächtig. Ich speichere die Gefühle, die Worte, die Gerüche, das Gesehene. All das kommt in mein Schatzkästchen, das ich in dunklen Momenten öffne, um mich an der Wärme und dem Glanz zu erfreuen.
Danke, liebe Milva, für diesen Schatz.
P.S. Wer eine Fahrt ins Blaue unternehmen will, dem empfehle ich den Dorfnerhof in Gschnon www.dorfner.it